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Auf dem Tauben-Olymp angekommen

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Eine blitzschnelle Handbewegung reicht und die Taube ist in den Händen von Toni Kohler. Das Tier scheint sich schnell mit der Situation abzufinden und lässt die neugierigen Blicke der Besucher geduldig über sich ergehen. Die machen nichts, sind ganz zahm, sagt Kohler seelenruhig. Man glaubts dem 78-Jährigen. Schliesslich züchtet er Tauben seit über einem halben Jahrhundert- genauer seit 55 Jahren. Die Tiere kennen ihn schon, bevor er ihr Zuhause betritt. Wenn ich mit dem Auto vorfahre, wissen sie bereits, dass es bald Futter gibt, sagt Kohler und lacht.
Im Taubenhaus in Neuenkirch hegt und pflegt der rüstige Rentner mehrere Dutzend der Vögel. Wer nun an die häufig gesehene Stadttaube denkt, wird beim Betreten des Taubenhauses überrascht. Die Tiere ähneln ihren Artgenossen in freier Wildbahn nur auf den zweiten Blick. Neben dem braun-weissen Gefieder und den kurzen Schnäbeln sticht insbesondere ihr Kamm hinter dem Kopf ins Auge. Komorner Tümmler heisst die Rasse, die der gelernte Metzger seit vielen Jahren züchtet. Die Art stammt aus Ungarn.
Schönheit über alles
Damit Kohler seine Komorner erfolgreich züchten kann, muss er eine sogenannte Ammenzucht betreiben. Deshalb hält er Tauben einer zweiten Rasse. Die Komorner haben zu kurze Schnäbel, um ihre Jungen selber füttern zu können. Kohler war von dieser durch die Zucht entstandenen Einschränkung nie begeistert, jedoch habe er schon zu Anfangszeiten Mühe gehabt Tiere mit natürlichen Schnäbeln zu finden. Aus Liebe zu den Tauben habe ich mich schlussendlich gefügt und auf die Ammenzucht umgestellt.

Die Freude an heranwachsenden Komornern hat Kohler deshalb aber nie verloren. Er zeigt, was ihn daran immer wieder fasziniert. Mit einer Handbewegung beordert er eine Täubin aus ihrem Nest und greift nach dem darin liegenden Ei. Die Taschenlampe zeigt das Leben im Dotter. Die hocken gerade einmal 18 Tage darauf, und schon gibt's ein kleines Tübli, schon verrückt, nicht?
Da Tübeler Kohler die gesamte Entwicklung seiner Tauben eng begleitet, hat er schnell ein bereits geschlüpftes Küken in den Fingern. Kohler zählt die Schwanzfedern. Zwölf müssen es sein. Auch die Farbe des Gefieders muss stimmen. Dichtes Gefieder und ein Kamm ohne Lücken sind weitere Voraussetzungen, damit eine Taube in Kohlers Zucht eine Zukunft hat. Bei aller Liebe zu seinen Tauben ist Kohler in dieser Frage strikt. Ich züchte die Tiere ausschliesslich auf Schönheit, daher sind diese Kriterien zwingend.
Seine Disziplin gibt Toni Kohler recht. Die Komorner aus seiner Zucht steigen an Taubenschauen in der Schweiz, aber auch in den umliegenden Nachbarländern regelmässig aufs oberste Treppchen.
Ehrung mit ehemaliger Bundesrätin
Kohler kann sich nicht nur mehrfacher Schweizer Meister, sondern auch Europameister nennen. In seiner Wohnung in Neuenkirch hängen unzählige weitere Preise an der Wand. Und das sind nur die aktuellsten der vergangenen zwei bis drei Jahre. Den Rest verstaut er im Schrank.
Die grösste Ehre wurde Toni Kohler aber erst kürzlich zuteil. An der 100. Nationalen Taubenschau verlieh ihm der Schweizer Taubenverband die Goldene Schweizer Taube. Diese Auszeichnung existiert seit 1996 und wurde gemäss Urs Freiburghaus, Ehrenpräsident des Verbandes, erst zwölfmal verliehen. Der Vorstand habe für die Vergabe auf den richtigen Moment gewartet, den die Interlaker Jubiläumsausstellung zweifelsfrei bot, sagt der Berner Taubenzüchter am Telefon. So wurde Toni Kohler in Anwesenheit von prominenten Gästen wie der ehemaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und Ex-Nationalrätin Ursula Hasler geehrt.
Die Auszeichnung sei in der Szene sehr hoch einzustufen, sagt Urs Freiburghaus, der selber zum erlauchten Kreis der Geehrten gehört. Bei Toni Kohler sei die Verleihung höchste Zeit gewesen. Er zeichnet sich nicht nur als Züchter mit unwahrscheinlichem Erfolg aus, sondern habe darüber hinaus Ausserordentliches zum Wohle der Taubenzucht geleistet. Der Taubenzüchterverein Neuenkirch - natürlich von Toni Kohler gegründet - gehöre zu den wenigen Schweizer Taubenvereinen mit stabilen Mitgliederzahlen. Das habe wiederum viel mit Kohlers Einsatz für den Nachwuchs zu tun, so Freiburghaus.
Der Nachwuchs fehlt
Toni Kohler erinnert sich gerne an vergangenen November zurück. Er spricht von einer grossen Genugtuung. Als mein Name fiel, fuhr mir das schon ein. Erreicht hat Kohler damit nun alles, was er in der Taubenzucht schaffen kann. Trotzdem denkt er nicht ans Aufhören.
2024 findet in Neuenkirch zum dritten Mal die Schweizerische Taubenausstellung statt. Kohler wird am 13. und 14. Januar als Festwirt tätig sein. Während an der letzten Austragung 1991 3800 Tauben ausgestellt wurden, rechnet Kohler für 2024 noch mit 2200 Tieren. Der fehlende Züchternachwuchs ist ein grosses Problem. Hoffnung macht ihm ein 18-jähriger Tübeler aus Rickenbach. Er ist auch der Grund, warum Kohler den Tauben noch lange nicht den Rücken kehren will. Denn sein Rat ist weiterhin gefragt. Wenn der Jungzüchter eine Frage hat, ruft er mich an.

Kopie Zeitungsartikel: "Luzerner Zeitung, Samstag, 15. April 2023, Jonas Hess"

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